Walter von der Vogelweide.
Von Franz Rudolf
Im schönen Tirol, nicht weit von Brixen, im dem Orte Vogelweide soll seine Wiege gestanden sein. Das Dorf ist heute nicht mehr vorhanden. Unter sorgfältiger Erziehung, umgeben von einer großartigen Natur, wuchs der Knabe heran. Walter war von adeliger, aber armer Herkunft. Gelehrte Bildung besaß er nicht, das Leben erzog ihn. Als Jüngling fand er in Wien eine zweite Heimat. Am glänzenden Hofe der Babenberger empfing er seine ritterliche Erziehung; hier hat er, wie er selbst erwähnte, "singen und sagen" gelernt. Beim Herzoge Friedrich I., der ihm freundlichen Schutz und reichen Lohn gewährte, stand er in besonderer Gunst.
Als Friedrich im Jahre 1198 auf einer Kreuzfahrt starb, begann für Walter ein unstetes und mühseliges Wanderleben. Er ist weit hinausgekommen in die Welt: von der Elbe bis zum Rhein, von der Seine bis zur Mur, vom Po bis zur Drau und bis hinein ins Ungarland ist er, allzeit frohen Mutes, hoch zu Roß, die Geige zur Seite, dahin gezogen, hat auf den Straßen und in den Burgen seine Lieder angestimmt und Land und Leute mit sinnigen Augen geschaut.
Walter von der Vogelweide war an den Fürstenhöfen ein gern gesehener Gast. Allein das ruhelose Leben behagte ihm nicht mehr, er wünschte sich ein bleibendes Heim. "Daß man mich bei so reicher Kunst so verarmen lässt !" ruft er dem jungen Kaiser Friedrich II. von Hohenstaufen zu; "könnte ich mich am eigenen Herde wärmen, wie wollte ich dann von den Vöglein und von der Minne singen! Nur wer einen eigenen Herd hat, kann fröhlich seinen Gesang ertönen lassen!" Friedrich II. schenkte ihm ein kleines Lehen, das vermutlich bei Würzburg in Bayern lag. Hier genoß der Dichter Tage reinen, ungestörten Glückes.
In einem Loblied auf das deutsche Vaterland rühmt er neben den deutschen Männern und Frauen die deutsche Zucht. Freilich hat der Dichter, der für die Freiheit und Ehre seines Volkes eiferte und an allen öffentlichen Ereignissen jener vielbewegten Zeit lebendigen Anteil nahm, tiefen Grund zur Unzufriedenheit. In einem seiner Lieder klagt er, daß im deutschen Reiche Gewalt und Untreue herrschen, daß dagegen Friede und Recht zum Tode verwundet seien. In einem anderen Liede stellt er am rauschenden Strome Betrachtungen an über den Unbestand im menschlichen Leben und sagt, in der ganzen Natur herrsche Ordnung, nur im deutschen Reiche nicht. In einem seiner kurzen Sprüche fordert er vor allem Selbstbeherrschung.
"Wer schlägt den Löwen? Wer schlägt den Riesen? Wer überwindet jenen und diesen?
Das kann nur einer, der sich selbst bezwingt."
In einem seiner letzten Lieder klagt er in tiefer Wehmut über die so rasch dahin geschwundene Zeit seines Lebens. "Wohin sind sie geschwunden, all meine Jahr'? War mein Leben ein Traum oder ist es wahr?"
Walter von der Vogelweide war ein hervorragender deutscher Dichter, der schon bei seinen Zeitgenossen im höchsten Ansehen stand. In seinem letzten Willen soll er, wie eine schöne Sage berichtet, geboten haben, daß man täglich Weizenkörner für die Vögel auf seinen Grabstein streue.