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11. BIGAMIE – ERLAUBNIS NACH DEM 30JÄHRIGEN KRIEG

In regelmäßigen Abständen taucht folgende Fabel auf:

"Nach dem 30-jährigen Krieg (1618-1648) waren von den 17 Millionen Bewohnern Deutschlands nur noch 4 Millionen, meist Frauen und Mädchen übrig. Aus diesem Grunde wurde am 14.2.1650 auf dem fränkischen Kreistag in Nürnberg folgender Beschluß gefaßt und für ganz Deutschland zum Gesetz erhoben:

Demnach auch die unumgängliche Nothdurfft des heylichen römischen Reiches erfordert, die in diesem 30 jerig bludigen Kriege gantz abgenommene, durch das Schwerdt, Krankheyt und Hunger verzehrte Mannschafft wiederum zu ersetzen, so willen hinfüro innert nächsten 10 Jahren jedem Mannsperson erlaubt und gestattet seyn, zween Weiber zu heurathen. - So sich aber in Städten oder auff Dörffern jungGesellen finden laßen, so ihr 50tes Daseinsjahr noch nicht überschritten, starken Leibes und guter Gesundheyt auch mit Geld und Gut gesegnet sind, und solche betroffen würden, daß sie bishero keyn Weib genommen, solche sollen ernstlich vermahnet und bey Nichtfolgen am Leibe und am Vermögen gestraffet werden; diese jung Gesellen sollen alsobald in den heylichen Ehestand tretten, sey es mit eyner oder zween Frauen und wir von ihnen allen Ernstes erhoffen, daß sie noch eine halbe oder, je nach ihren Kräfften eine gantze Mandul Knaben erzeugen und also dem Vatterlande mit allem Eyffer wiederum zu Bürgern verhelfen mögen."

(Zitiert aus der "Chronik der Stadt Arnstadt" in Thüringen von Paul Thalmann, 1929)

In einer anderen Quelle findet sich hierzu folgender ergänzender Text: Es soll hinfüro jedem Mannßperson 2 Weyber zu heyrathen erlaubt seyn: dabei doch alle und Jede Mannßperson ernstlich erinnert, auch auf den Kanzeln öfters ermanth werden sollen, Sich dergestalten hierinnen zu verhalten und vorzusehen, daß er sich völlig und gebürender Discretion und versorg befleiße, damit Er als ein Ehrlicher Mann, der sich 2 Weyber zu nehmen getraut, beyde Ehefrauen nicht allein notwendig versorge, sondern auch unter ihnen allen Unfrieden verhüte.

Dieses Gesetz galt bis 1660, also 10 Jahre lang.".

(Zitiert aus Genwiki: http://wiki-de.genealogy.net/Arnstadtextlink


Diese Fabel geht auf eine Erwähnung im "Fränkischen Archiv", Seiten 155 und 156 des Jahres 1790 zurück.

Titel "Begünstigung der Bigamie und der Priesterehe, Einschränkung der Aufnahme in die Klöster. Alles zur Vermehrung der Bevölkerung."

http://books.google.at/books?id=_mQAAAAAcAAJ&pg=PP14&lpg=PP14&dq=Bigamie+1650+%22Fr%C3%A4nkisches+Archiv+%22&source=bl&ots=AUPqHV-AKu&sig=Vgfj2pRrHQD_A13OnF7JkmJeSqM&hl=de&sa=X&ei=AZvhUcutEofiOp_WgcAD&ved=0CDYQ6AEwAQ extlink


Dazu stellt Leonhard Theobald in seinem Artikel "Der angebliche Bigamiebeschluß des fränkischen Kreistages", in "Beiträge zur Bayerischen Kirchengeschichte 23" (1916/17), S. 199-200 fest, daß "der Fränkische Kreistag zwischen 1645 und 1664 gar nicht getagt hat, folglich auch 1650 kein Gesetz o.ä. verabschiedet haben kann, und daß es keine Archivüberlieferung mit einem solchen Gesetz gibt in den Archiven von Nürnberg, Ansbach und Bamberg. Die Herausgeber des "Fränkischen Archivs", wo dieser Bigamiebeschluß veröffentlicht sein soll, müssen also etwas vollkommen falsch verstanden haben oder aber sind einer Fälschung aufgesessen."

Ein Fachartikel von Oberarchivrat Dr. Altmann, Vorstand des Staatsarchivs Nürnberg, aus dem Jahr 1920 kommt zum selben Schluß.

Natürlich hätte der fränkische Kreistag, so er getagt hätte, überhaupt keine im ganzen Hl. Römischen Reich gültigen Gesetze erlassen können und gerade die in Franken dominierende katholische Kirche hätte wohl weder Bigamie noch Priesterehe zugelassen.

Trotzdem geistert diese Erfindung unbeirrbar seit zwei Jahrhunderten durch Bücher und Zeitungen.